Am Sonntag Vormittag war es dann mal so weit und ich wagte mich ohne klimatisiertes Automobil um mich herum auf die Straße. Das war ein Abenteuer.
Mein Plan war von der Guesthouse-Siedlung durch das Industrie-Areal "Mahindra World City" bis zur Hauptstraße zu laufen, dort auf der einen Seite ein paar Kilometer Richtung Chennai und auf der anderen wieder zurückzulegen.
Gleich die ersten Radler und Motarradfahrer, die an mir vorbeikamen, drehten sich so lange zu mir um, dass ich befürchtete zum Unfallverursacher zu werden. Einige winkten und grüßten. Als ich an dem Platz mit den Cricket-Spielern vorbeikam, grüßte ein am Rand stehender junger Mann mit "Hi, very nice" und alle lachten. Natürlich hatte ich immer mein freundlichstes Lächeln aufgesetzt und grüßte stets freundlich zurück. Besondere Freude bereitete mir, wenn mich Kleinlaster mit 40 Mann auf der Ladefläche stehend überholten und rund 80 Augen gleichzeitig an mir hefteten. Einen erster Rückschlag meiner fotografischen Pläne erlitt ich, als ich am Ausgang der Mahindra World City beim Fotografieren eines Gebüschs (natürlich von Blüten im Geäst, aber für einen Außenstehenden bzw. Inder müsste es wie das Fotografieren eines Gebüschs ausgesehen haben) per Geschrei zum Unterlassen der Knipserei aufgefordert wurde. In Indien gelten recht strenge Regelungen in Sachen Fotografie und die an allen Ecken und Enden stehenden, sitzenden und liegenden Wachleute wittern darin ihre Chance wichtig in Erscheinung treten zu können und an jene strengen Regelungen zu erinnern. Ich ging mit einem Strahlen im Gesicht auf den Herrn zu, zeigte ihm im Display meiner Kamera die Blüten und meinte "Only flower" was er mit einer misbilligenden Kopfbewegung abtat und mich weiterziehen ließ. An der Hauptstraße war es ziemlich laut und es stank bestialisch, da die Straßen links und rechts mit Bergen von Müll verziert sind. Häufig gärten dort aufgeplatzte Säcke mit Essensresten in der Sonne, an denen sich diverse Fauna gütlich tat. Mein Weg führte mich weiter auf dem Seitenstreifen der für jede Richtung zweispurigen Schnellstraße. Waren der Morast und die Pfützen zu groß, wich ich mit ständigem Schulterblick auf den Rand der Straße aus. Am Straßenrand reihten sich die geparkten LKWs, von denen viele aufgebockt waren und ein paar neue Reifen erhielten. Teilweise passierte ich einfachste Straßenläden und -restaurants, kleine Tempel, Bushaltestellen. Eine Gruppe von Kindern und zwei jungen Erwachsenen fand sofort Gefallen an mir und eine größere Fotositzung begann: erst ich sie, dabei sie mich mit ihren Handies. Dann alle Kinder um mich rum und die zwei Großen knipsten weiter mit ihren für dieses Umfeld und dieses Verhalten für mich unbegreiflich großen und modernen Allzwecktelefonen. Nach einigen Umgruppierungen der Kinder und einem schüchternen Händeschütteln des Mutigsten der Zwerge, setzte ich meine Tour fort. Bald überquerte ich die Straße Richtung Heimat, die Sonne brannte ziemlich ungnädig. Auf dem ganzen Spaziergang musste ich alle paar Minuten Autorikshas und Taxis abwimmeln, die in einem laufenden Europäer recht wenig Sinn sahen. Zurück auf den deutlich leeren Straßen der Mahindra World City drehte sogar ein Motorradfahrer um, erkundigte sich nach Namen und Herkunft und bot mir an, sie waren erst zu zweit, mich auf seinem Mopped mitzunehmen. Da ich schon auf der Zielgerade war, lehnte ich dankend ab, war froh kurz darauf in meinen gewohnten vier Wänden verschwinden zu können, entledigte mich der nassgeschwitzten Klamotten und ließ meinem krebsroten Nacken eine reichhaltige Pflegelotion zugute kommen.