Mittwoch, 10. November 2010
Das Mittagessen in der Kantine


So ungefähr guckt bei uns das Mittagessen aus. Erst nimmt man sich das Blechtablett aus einem Regal und läuft dann die Theke entlang. Zu Beginn bekommt man den größeren, läbbrigen, ölig tropfenden Fladen draufgelegt, dann den dünnen knusprigen. In zwei der Fächer bekommt man zwei unterschiedliche Soßen bzw. Beilagen per Schöpflöffel oder behandschuhter Hand geschaufelt. Eine meist etwas flüssiger, die Andere mit größeren Brocken. Die Flüssigere ist von einem geschlossenen Ölfilm bedeckt. Manchmal gibt es auch eine weiße, sähmig-körnige Soße (Brambes) mit kleinen, schwarzen Kügelchen. Den Napf mit dem flüssig-klumpigen Milchprodukt nimmt man sich selber, ebenso Reis, die dritte Soße und scharf.
Die Japaner, ein paar elitäre fortschrittliche Inder und ich nehmen sich an der Stelle noch einen Löffel. Manchmal liegen nur Gabeln da, fragt man nach Spoon? klopft der eine Essensausgeber dem anderen an die Brust und bedeutet ihm mit dem Ausruf "Spoon, spoon!" (in Indien werden Wörter gerne wiederholt) und dem Kopfzeig zur Küche schleunigst ein paar Löffel aufzutreiben. Manchmal kommt er mit leeren Händen zurück und schüttelt den Kopf, der Andere übersetzt dann "not available". In dem Falle werden die Soßen dann gegabelt und nicht gelöffelt.

Zur Essreihenfolge: man kann mit einem der Fladen anfangen oder man isst die Fladen zum Reis (oder hinterher).
Vom weichen Fladen reißt man sich Stücke ab und versucht mit denen einen Teil von Soße/Beilage 1 und/oder 2 zu essen. Ich rolle mir meist kleine Trichter und schaufle so etwas Soße. Anschließend oder vorher kann man die verbliebene Soße/Beilage essen. Die meisten Inder teilen den Reis in zwei Hälften, essen die eine davon mit Soße 3 und die andere mit scharf und dem milden Milcherzeugnis.
Ich mische immer alles drei.

Soßen die gar nicht schmecken sind selten, kommen aber vor. Insgesamt ist alles recht fett und ölig und liegt mir einige Zeit im Magen. Eine zu kurze Verweilzeit wäre ja auch wieder nicht wünschenswert.

Selten gibt es süßes Zeug als Nachtisch (kann man auch schon zur Hauptspeise essen).

Die Japaner bekommen immer doll fettigen gebratenen Reis und gebratene Nudeln, die jedoch fast kein Gemüse dabei haben und deshalb jeden Tag 100% identisch zubereitet sind. Die Schälchen mit dem Extraessen werden immer wie heiße Ware unter dem Tresen hervorgezaubert, wenn sich ein Mensch mit heller Hautfarbe nähert. Ich nehme mir meist etwas von den gebratenen Nudeln und reduziere dafür Reis+Soße 3.

Natürlich sind alle gerichte veg (wätsch).

Dass die Speisen ausschließlich mit der rechten Hand angefasst werden, ist ein Märchen. Nur die flüssigeren Bestandteile werden auf die Rechte Hand beschränkt, damit man mit der Linken noch telefonieren kann, ohne dass Soße ins Telefon läuft.

Dass es -wie schon erwähnt- kein Klopapier gibt, ist weiter kein Problem, man wäscht sich die Hände ja, nach dem Essen.



Wellness
Die hiesigen Gepflogenheiten zum Geburtstag sind sehr schön. Da der Kuchen geschmacklich zu wenig anderem zu gebrauchen ist...





...bekommt der Gratulant kurzerhand eine reichhaltige Gesichtsmaske.





Wie lieb, alle zusammen:





Prost!
In jedem Reiseführer wird vor gedankenlosem Konsum von indischem Wasser gewarnt. Bloß kein Getränk mit Eiswürfeln! Beim Zähneputzen mit Leitungswasser ausspülen? Um Himmels Willen!
Entsprechend bekommen die Japaner, und so auch ich, in der Kantine ein Glas (aus Glas) und eine eigene Flasche Wasser an den Platz gestellt.
Die indischen Kollegen schenken sich Wasser aus Blechkrügen in Blechbecher, die auf den Tischen auf lustigen Plastikrondellen hängen. Das Wasser in den Blechkrügen wird von den herumlaufenden Dienern aus großen 20L- und 25L-Flaschen nachgefüllt. Da ich in der ersten Woche keine Möglichkeit hatte eigenes Wasser zu kaufen, fragte ich, ob ich die Flasche aus der Kantine mitnehmen dürfe, was natürlich gastfreundlich bejaht wurde.
Auch in den folgenden Wochen, nahm ich immer die Flaschen aus der Kantine mit ins Büro, brachte dann aber auch inzwischen erworbene, eigene Flaschen mit.
Das führte dazu, dass sich im Tagesverlauf durchaus mehrere Flaschen unter meinem Schreibtisch ansammelten.
Als ich beim Verlassen des Büros einmal eine leere und eine halbvolle Flasche bei mir trug, um mich via Mülleimer von der einen zu trennen, feixte einer der indischen Kollegen: "Ohh, Frank-san, are you collecting bottles?!"
Beim Mittagessen erkundigte ich mich bei einem Kollegen, was eigentlich der Unterschied zwischen dem Wasser in den großen 20L-Butteln und den Kleinen sei.
Keiner, das Kleine sei nur Markenwasser, antwortete er mit einem Anflug von Missgunst in der Stimme, dass ich die Sonderstellung mit den Extra-Flaschen scheinbar befürworten würde.
In den folgenden Tagen beobachtete ich zwei Aktionen, die in Kombination meinen Blick einen kurzen Moment mit dem Licht der Erkenntnis erhellten.
Zum einen zog einer der Diener die Flaschen, deren Zukunft ich eher im Recyclat oder dem thermischen Recycling sah, aus dem Mülleimer und trug sie mit stolzem Gesichtsausdruck ob der fetten Beute aus dem Büro.
Zum anderen füllte eben jener Diener eben jene Flaschen in der Kantine an einem der großen Wasserspender wieder auf, verwischte seine Spuren mit einem gerissenen Schlingerkurs durch die Kantine und offerierte mir just eine der frisch gezapften Wasserflaschen.
Und ich bin mir sicher, der Kollege, der mir das als "Markenwasser" verkaufen wollte, wusste bescheid.
Am darauf folgenden Shopping-Trip mit den Japanern besorgte ich mir Wasserflaschen einer Marke, die ich in der Firma noch nie gesehen habe. Diese hüte ich wie meinen Augapfel: ich fülle sie lediglich selber auf (denn dass ich das Wasser gut vertrage, zeigten die Blind-Tests der vorangegangenen Wochen) und ich entsorge nie eine dieser Flaschen in der Firma.

Gut dass wir das geklärt haben.

Gut dass ich 2h an einer japanischen Telefonkonferenz teilnehmen durfte und Zeit zum Schreiben dieses Textes hatte. Mein Name fiel ein paar mal, ich hebte jedes mal den Kopf und nickte.



Auch Handarbeit
Als ich gerade beim Firmen-Frühstück meine Fladen (mehr Öl als sonst was) mit der Hand in mich hineinmümmelte, kam mir das Bild der tansanischen Delegation vor Augen, die fr.gross vor ein paar Jahren zu Besuch hatte. Da saß einer der Jungs, der es gewohnt war ohne Besteck zu essen, am Frühstückstisch und meinte es besonders gut in der Adaption unserer Gebräuche. Er gab ein sehr witziges Bild ab, als er versuchte sein Marmeladenbrötchen mit Messer und Gabel zu essen.



Dienstag, 9. November 2010
Wer hat in meinem Bettchen geschlafen?


Könnte ich fragen, wenn ich mir nicht sicher wäre, dass ich das genau so heute Früh zurückgelassen habe.
Was ist denn da passiert?!
Ich komme "Heim", niemand spitzt hinter dem Vorhang hervor, um die Türe rechtzeitig zu öffnen, keiner kommt nach dem ersten, dem zweiten Klingeln. Ich steige wieder über die Terrassentüre eine. Drinnen ist unten alles dunkel, im Treppenhaus brennt ein kleines Licht.
Mein Zimmer finde ich so vor, wie ich es verlassen habe: kein gemachtes Bett, der Mülleimer ungeleert, der Boden voller erschlagener Insekten, die eingetrocknete Kaffeetasse und eine leere Wasserflasche auf der Kommode.

Sofort ging ich in Gedanken durch, was alles passiert sein könnte und reagierte prompt: erst mal ungestört Fotos machen.

Das ist die Küche, in der meine bisher einzige Aktivität das Einschalten des Toaster ist. Schon das Herausnehmen des Toast gelingt mir dank der helfenden Hände nicht mehr. (Die Verzerrung kommt nicht davon, dass ich in einer gallertartigen Dimension hause, sondern vom Zusammenfügen mehrerer Aufnahmen)



Direkt an der Küche befindet sich der Diener komfortable Kammer:



Kann man nicht meckern, alles da: Bügelbrett, Reinigungsmittel, eine grüne Matte auf der man prima schlafen kann, ein Haufen Klamotten als Kopfkissen.
In Aschaffenburg habe ich's nicht bequemer.

Gegenüber der Küche befindet sich das Esszimmer. An dem roten Deckchen frühstücke ich immer.



Da ich natürlich nicht auf meinen Saft verzichten wollte, holte ich mir den selber und trollte mich durchs Treppenhaus wieder nach oben in mein Zimmer.



Nur kurze Zeit später hörte ich unten die Haustüre. Binnen weniger Augenblicke klopfte es an der Tür und er brachte mir noch einen Saft. I've been faster, meinte ich. Etwas verlegen lächelte er. Schon gut, lass den auch da, befreite ich ihn aus seiner unangenehmen Lage. Sir, water? - Hab ich auch schon.



Unerwartete Momente der Freiheit waren das heute Abend!



Tag X
Heute ist der Tag, auf den ich mich schon seelisch vorzubereiten versucht habe.
Die Japaner wollen eine Verlängerung meines Aufenthaltes in Indien.
Zum Glück habe ich es schriftlich, dass das ohne meine Zustimmung nicht geht. Jetzt bin ich gespannt, ob sich bei meinen Vorgesetzten in D noch jemand daran erinnert, dass meine Bedingung für den Einsatz war, dass nicht verlängert wird. Ggf muss ich das selber vor Ort auskämpfen.



Montag, 8. November 2010
Worauf die so alles kommen.
Gerade wurde ich von meinen indischen Kollegen vergeblich bei Facebook gesucht. Ohhh.



Böse Ameisen
Während die indischen Kollegen die schwarzen Ameisen im Büro ignorierten, sind nun kleine rote Ameisen eingezogen, die durchaus Beachtung finden. These are dangerous, they bite! hieß es.
Emsig wird mit bunten Ministaubwedeln überall gewedelt.
Die Tastatur des Rechners, den ich heute verwenden wollte, diente scheinbar einem Ameisenvolk als Unterkunft.
Im Gegensatz zu den Indern beschränke ich mich jedoch nicht auf's wedeln, da die Ameisen sonst im Handumdrehen zurückkommen. Ich hoffe niemand erkennt einen seiner Verwandten in einer der Ameisen, die mir unter die Finger kommen.

Etwas erstaunt war ich doch, dass die Inder, die sonst Seneca mit ihrer Stoa vor Neid erblassen ließen, bei den roten Ameisen plötzlich etwas hektisch werden. Ich werde es heute Abend ja merken, wenn ich rot bepustelt ins Guesthouse komme, ob die Aufregung berechtigt war.



Sonntag, 7. November 2010
Bollywood
Die Inder stehen da ja wirklich drauf. Auf den drei Langstreckenflügen habe ich immer bei indischen Mitreisenden ein wenig auf die Monitore geschielt. Da die Filme stets mit englischem Untertitel sind, ist es nicht weiter schlimm, dass man den Originalton nicht hört. Die Storys laufen immer sehr ähnlich ab: ein Außenseiter verliebt sich in eine unerreichbare Schönheit, er erleidet diverse Schicksalsschläge (auch gerne durch eigene kriminelle Entgleisungen), es muss ein geliebter Verwandter einer der Hauptdarsteller sterben, die Polizei muss Gestapo-artig auftreten, der arme Thor, der nach und nach geläutert wird, schafft es dann doch noch die Alte rumzubekommen und dann tanzen und singen alle ausgiebig.
Ach ja, den reichen und politisch korrekten, von den Eltern bevorzugten Nebenbuhler habe ich noch vergessen. Der guckt am Ende natürlich in die Röhre.

Die Mädels in den Videos sind recht sparsam im Umgang mit Textilien (ungefähr wie bei uns die meisten Mädels im Sommer), so dass sie hier auf offener Straße wahrscheinlich wegen Unzucht gesteinigt würden. Die Herren müssen große verspiegelte Brillen tragen. Dazu eine Schlaghose, ein Dreitagebart und eine Lederjacke mit aufgestelltem Kragen.

Die Filme tragen klangvolle Namen wie "Once upon a time in Mumbai". Einer der Fluggäste gestern hat sich den sogar zweimal angesehen. Er wurde dadurch nicht besser.



Was ist denn da passiert?


Da man auf Flughäfen viel Zeit mit warten verbringt, nutze ich meine Zeit gerne sinnvoll und gucke Leute. Flughäfen scheinen so eine Art Best of der internationalen Skurilitäten zu sein. So auch während ich ready for boarding in der Schlange stand und mir die zwei Herren vom Bild über den Weg liefen. Beide Mitte Dreißig, trainiert gebaut und mit wenig/keinem Haar. Und beide hatten einen halbmondförmigen Verband an der unteren Schädelhälfte angeklebt. Das spornte mich sofort an den Grund für diesen Verband zu ersinnen. Haben sich beide im Partner-Tarif ein Facelifting verpasst, bei dem die Haut über die ganze Birne gestrafft und hinten wieder angetackert wird?
Oder war es der Beginn einer Serie von Eigenhaartransplantation, der noch abheilen musste?
Am wahrscheinlichsten schien mir jedoch die Möglichkeit einer Gehirntransplantation. Im Prinzip eine nette Geste, wenn der eine cleverer als der andere ist. Oder einer bei einem Missgeschick einen Teil seines Hirns verlustig gegangen ist. Es geht doch nichts über eine Freundschaft auf gleicher "Wellenlänge".